2-Liter-Irrtum: Welche tägliche Trinkmenge reicht aus?
„Ich muss heute noch auf meine zwei Liter kommen“ – So ähnlich äußern sich viele gesundheitsbewusste Erwachsene, die auf ihren Flüssigkeitshaushalt achten. Fest in unseren Köpfen verankert ist die magische Faustregel von 2 Litern täglich, wenn es ums Trinken geht.
Typisch für das menschliche Optimierungsstreben sind handfeste, quantitative Faustformeln, mit denen wir ein möglichst gesundes Leben zu bestreiten versuchen.
10.000 Schritte, 2000 Kilokalorien und 2 Liter Wasser pro Tag – ein regelrechtes „Leben nach Zahlen“ hat sich eingebürgert. Die Krux bei Faustregeln: Sie sind nicht immer anwendbar.
Mythos tägliche Trinkmenge: Einfach erklärt
Genug Wasser zu trinken ist wichtig für einen gesunden Körper. Bei heißem Wetter und salzigem Essen braucht man besonders viel Wasser. Oft wird gesagt, man muss 2 Liter Wasser am Tag trinken, also ungefähr 8 Gläser voll.
Aber das gilt nicht für jede Person. Sportler oder Leute, die schwer arbeiten, brauchen oft mehr als 2 Liter. Auch müssen schwangere oder stillende Frauen etwas mehr trinken. Kindern reicht deutlich weniger Flüssigkeit. Bei den meisten Menschen reicht es aus, zu trinken, wenn man durstig ist. Für ältere Menschen gilt das nicht immer: Sie brauchen weniger Wasser als jüngere, aber spüren oft weniger Durst. Darum müssen sie besonders darauf achten, genug zu trinken.
Manche Krankheiten können auch ein Grund sein, um mehr trinken zu müssen. In diesem Fall hilft ein Arzt, die genaue Trinkmenge zu finden.
Richtig trinken: Eine Wissenschaft für sich
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) unterbot in ihrem Flyer „Wasser trinken – fit bleiben“ die allseits bekannte 2-Liter-Pauschale tatsächlich noch, in welchem zu lesen war „Erwachsene sollten jeden Tag rund 1,5 Liter Wasser trinken“ (Seit Mitte 2023 ist der Flyer jedoch nicht mehr online verfügbar). In einer Referenzwerteübersicht stellt die DGE differenziert nach Altergruppen dar, an welchen Flüssigkeitsmengen sicher Kinder, Erwachsene und auch Schwangere orientieren können.
Unglücklicherweise ist eine solche Vorgabe unzureichend. Sie erklärt nicht, für welche begleitenden Umstände sie gilt. Immerhin wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass bei körperlich anstrengender Arbeit oder Sport „[…]schon mal zusätzlich 0,5–1,0 Liter Wasser pro Stunde nötig sein [können]“[1]https://www.dge-medienservice.de/media/productattach/File-1523011430.pdf. Der in der Nahrung bereits enthaltene Wassergehalt wird ebenfalls außer Acht gelassen.
Recherchiert man etwas, bekommt man von der detailliertere Angaben in Tabellenform. So einfach kann es also nicht sein mit einer pauschalen 2-Liter-Formel. Ähnlich wie bei anderen Tagespauschalen (10.000 Schritte, 2000 Kilokalorien Nahrung) ist die Bandbreite menschlicher Bedürfnisse sehr groß. Logisch also, dass für Kleinkinder andere Werte gelten als für Erwachsene, für Spitzensportler andere als für Sportmuffel und für Bauarbeiter andere Richtwerte als für Steuerberater.
nochDurch die alters-, gewichts- und tätigkeitsbedingt variierende Stoffwechselaktivität ist die Spanne des täglichen Flüssigkeitsbedarfs eines Menschen gewaltig: von 0,62 L für Säuglinge[2]https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/wasser/ bis über 16 L am Tag für Ironman-Triathleten[3]https://www.netzathleten.de/ernaehrung/sportler-ernaehrung/item/867-sportgetraenke-trinken-beim-sport[4]https://www.tri2b.com/triathlonnews/detail/article/trinken-die-mischung-machts-1067/, die bis zu 4 Liter pro Stunde schwitzen[5]https://www.active.com/triathlon/articles/cracking-the-code-on-sweat-rates[6]Institute of Medicine (US) Committee on Military Nutrition Research; Marriott BM, editor. Nutritional Needs in Hot Environments: Applications for Military Personnel in Field Operations. Washington … Weiterlesen.
Auch Feuerwehrleute im Einsatz verbrauchen rekordverdächtige Wassermengen – nicht nur beim Löschen von Brandherden[7]https://www.firefighternation.com/leadership/the-importance-of-staying-hydrated/.
Was den Wasserbedarf beeinflusst
Selbst für eine einzelne Person kann aus den genannten Gründen keine universelle Mindestmenge an Flüssigkeit festgelegt werden, die täglich vonnöten ist. Folgende Hauptfaktoren begünstigen die Dehydrierung des Körpers und haben somit Einfluss auf die benötigte Trinkmenge:
- Ernährung: Wasseranteil, Salz- und Zuckeranteil, Proteingehalt, Alkohol
- Sport und körperliche Arbeit oder Fiebererkrankungen (erhöhtes Schwitzen)
- Umgebungsbedingungen: Hitze, trockene Luft
- Unregulärer Flüssigkeitsverlust: Erbrechen, Durchfall, Blutverlust (z.B. beim Blutspenden)
Je stärker diese Faktoren mitspielen, desto mehr Wasser braucht ein Mensch. Auch wenn man diese Einflüsse genau kennt, lässt sich noch immer nicht exakt errechnen, wie viel Flüssigkeit es nun mindestens sein sollte. Verkompliziert wird das Ganze dadurch, dass ein Teil des benötigten Wassers bereits über feste Nahrung aufgenommen wird, die stets einen gewissen Wasseranteil hat (Beispiel: Apfel: 86 %, Weißbrot: 36 %, gekochte Spaghetti: 66 %[8]Institute of Medicine. 2005. Dietary Reference Intakes for Water, Potassium, Sodium, Chloride, and Sulfate (S. 158). Washington, DC: The National Academies Press. https://doi.org/10.17226/10925.
Personengruppen mit besonderen Trinkbedürfnissen
Kleinkinder stellen einen der Speziallfälle dar, was den Flüssigkeitsbedarf angeht: Ihr Körper hat ein besonders hohes Verhältnis von Körperoberfläche zu Gewicht, einen höheren Wasseranteil und -umsatz sowie eine beschränkte Fähigkeit, anderen ihren Durst mitzuteilen.
Des Weiteren benötigen Schwangere und stillende Mütter erhöhte Trinkmengen[9]National Research Council (US) Subcommittee on the Tenth Edition of the Recommended Dietary Allowances. (1989). Recommended Dietary Allowances: 10th Edition. National Academies Press (US). Auch für diese stellt die DGE gesonderte Richtwerte zur Verfügung[10]https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/wasser/.
Ältere Menschen bilden ebenfalls eine besondere Gruppe: Sie brauchen durch ihre geringere Stoffwechselaktivität und Wasseranteil im Körper zwar weniger Wasser, besitzen aber auch ein schwächeres Durstgefühl[11]https://www.gesundheitsamt.bremen.de/fluessigkeitsmangel-im-alter-7978. Deshalb dehydrieren sie besonders schnell und müssen vermehrt darauf achten, wie viel sie trinken. Genügend Flüssigkeitszufuhr kann scheinbar auch positiv zur Vermeidung bestimmter Krankheiten beitragen bzw. ist bei deren Vorliegen besonders wichtig. So soll ausreichend Wasser Nierensteinen[12]https://www.gelbe-liste.de/nephrologie/nierensteine-wasser und Blasenentzündungen vorbeugen[13]Thomas M. Hooton, Mariacristina Vecchio, Alison Iroz, Ivan Tack, Quentin Dornic, Isabelle Seksek, Yair Lotan. Effect of Increased Daily Water Intake in Premenopausal Women With Recurrent Urinary … Weiterlesen.
Auch gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang mit Herzkrankheiten, deren Risiko bei zu geringer Trinkmenge erhöht ist[14]Chan, Jacqueline & Knutsen, Synnove & Blix, Glen & Lee, Jerry & Fraser, Gary. (2002). Water, Other Fluids, and Fatal Coronary Heart Disease The Adventist Health Study. American … Weiterlesen. Nichtsdestotrotz ist für Personen mit den genannten Krankheiten eine ärztliche Beratung auch in Hinblick auf das Ess- und Trinkverhalten angebracht.
Durst = Dehydrierung?
Oft stößt man auf die Behauptung, dass Durst ein Zeichen für eine bereits eingetretene Dehydrierung ist. Demnach müsse man trinken, bevor der Durst einsetzt – ansonsten sei es eigentlich schon zu spät. Tatsächlich besteht allerdings Uneinigkeit darüber, inwieweit das auf gesunde, junge Menschen zutrifft[15]https://www.drinkoptimum.com/dehydration-the-risks-and-myths/[16]https://ncoa.org/article/the-truth-about-hydration-7-myths-and-facts[17]https://www.bcm.edu/news/thirsty-you-are-already-dehydrated. Dagegen argumentiert wird, dass Durst schließlich das einzige Trinksignal des Körpers darstellt, das sich im Lauf der Evolution entwickelt hat. Zu viel trinken kann übrigens gefährlich sein: Durch zu viel Flüssigkeit im Körper sinkt insbesondere die Konzentration von Natrium im Blut, was sich zunächst durch Kopfschmerzen, Muskelschwäche und Konzentrationsstörungen äußern kann. Gefährliche Herzrhythmusstörungen oder Krampfanfälle können im Extermfall sogar zum Tod führen[18]https://www.dr-gumpert.de/html/was_passiert_wenn_man_zu_viel_wasser_trinkt.html, was bereits mehrfach durch die Presse bekannt wurde[19]https://www.welt.de/sport/fitness/article143731940/Triathlet-30-stirbt-weil-er-zu-viel-Wasser-trank.html [20]https://www.tz.de/welt/colorado-usa-junge-trinkt-zu-viel-wasser-und-stirbt-zr-13806172.html.
Woher kommt der Trinkmythos?
Die 2-Liter-Angabe als empfohlene Trinkmenge hat ihren Ursprung womöglich in den USA, wo sie aufgrund des abweichenden metrischen Systems als „8 x 8-Regel“ seit mindestens den 1970er Jahren kursiert (8 x 8 Unzen, das entspricht 8 Gläsern mit je 240 ml Wasser am Tag).
Manchen Quellen zufolge entspringt die Angabe den Recommended Dietary Allowances, einer Art empfohlener Tagesdosis für Nahrungsbestandteile, die von der US-amerikanischen Organisation Food and Nutrition Board bereits seit den 1940er Jahren regelmäßig herausgegeben werden[21]https://www.medicalnewstoday.com/articles/306638. Sehr wahrscheinlich ist, dass damit eine Faustregel für „Normalbedingungen“ entwickelt werden sollte. Dabei wurden vermeintlich Faktoren wie Alter, Körpergewicht, Ernährung sowie körperliche Aktivität durch Arbeit oder Sport mit Durchschnittswerten miteinbezogen. Welche Werte genau zurunde liegen, ist allerdings mit der Zeit verloren gegangen bzw. wurde bei der Verbreitung der Faustregel nicht überliefert.
Da sich keine wissenschaftlichen Studien finden lassen, aus denen die 2-Liter-Trinkregel unmittelbar hervorgeht, stammt sie womöglich auch aus nicht professioneller Quelle. Selbst wenn damals vor einigen Jahrzehnten Durchschnittswerte für die genannten Faktoren herangezogen wurden, dürften diese mittlerweile veraltet sein. So sind die Menschen sind heute im Zuge des gesellschaftlichen und industriellen Wandels im Schnitt übergewichtiger, ernähren sich öfter von Fertiggerichten und gehen weniger körperlicher Arbeit nach als früher.
Fazit: Die Trinkmenge ist individuell
Für einzelne Personengruppen wie Senioren, Schwangere, Spitzensportler usw. sowie je nach Alter lassen sich zwar Durchschnittsmengen bestimmen. Allerdings entspricht nicht jeder Mensch dem Durchschnitt. Die Ermittlung einer Mindest- bzw. idealen Trinkmenge ist viel zu komplex und von zu vielen Einflüssen abhängig, um sie auf eine handliche Formel zu reduzieren. Auch ändern sich die eigenen Lebensumstände mit der Zeit: Sport, Arbeitstätigkeit, Gesundheit – um nur ein paar zu nennen.
Wer nicht medizinisch bedingt (z.B. bei erhöhtem Risiko für Nierensteine oder Blasenentzündungen, anderen Erkrankungen oder verringertem Durstgefühl im höheren Alter) auf besondere Vorsicht angewiesen ist, braucht nicht jedes Glas Wasser zu zählen.
Trinken sollet man, wenn man durstig ist. Oder auch wenn klar ist, dass man in absehbarer Zeit – etwa vor dem Sport – einen höheren Bedarf oder eingeschränkten Zugang zu Getränken hat.
Lestetipps
- „Wie viel müssen wir wirklich trinken?“ (Quarks)
- Richtig trinken im Sport. Ein Leitfaden für Sportlehrer und Trainer (Auflage 2017). IDM – Informationszentrale Deutsches Mineralwasser
- Ausführlicher, wissenschaftlicher Beitrag zum Mythos (engl.) “ „Drink at least eight glasses of water a day.” Really? Is there scientific evidence for “8 × 8”?“
- Kapitel 4 „WATER“ (engl.): Institute of Medicine. 2005. Dietary Reference Intakes for Water, Potassium, Sodium, Chloride, and Sulfate. Washington, DC: The National Academies Press. https://doi.org/10.17226/10925.
- Video „Brauchen wir mindestens zwei Liter Wasser am Tag?“ (Youtube)
FAQ
Die empfohlene tägliche Trinkmenge variiert je nach Geschlecht, Alter, Gewicht, Ernährung, Umgebungsbedingungen, Aktivitätsniveau (z. B. Sport oder körperliche Arbeit) oder auch Erkrankungen, die z. B. mit Durchfall oder Erbrechen einhergehen. Eine pauschale Trinkmenge kann darum nicht festgelegt werden.
Ja, auch andere Flüssigkeiten wie Tee, Saft, Suppen oder wasserhaltige Speisen tragen dazu bei, den täglichen Wasserbedarf zu decken. Allerdings sind zu zuckerhaltige Getränke in großen Maßen von Nachteil, da sie den Flüssigkeitsbedarf eher fördern. Auch alkoholische Getränke wirken sich negativ auf den Flüssigkeitshaushalt aus, da sie die Dehydratation fördern.
Ja, es ist möglich, zu viel Wasser zu trinken. Eine übermäßige Flüssigkeitszufuhr kann zu einer Verdünnung des Natriumspiegels im Blut führen (Hyponatriämie). Dies kann u. a. zu Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen führen.
Ja, eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr kann zu Dehydrierung führen, die sich in Symptomen wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Verstopfung und trockener Haut äußern kann. Wenn sie unbehandelt bleibt, kann Dehydrierung zu schwerwiegenderen gesundheitlichen Problemen führen.
Verweise
⇡1 | https://www.dge-medienservice.de/media/productattach/File-1523011430.pdf |
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⇡2, ⇡10 | https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/wasser/ |
⇡3 | https://www.netzathleten.de/ernaehrung/sportler-ernaehrung/item/867-sportgetraenke-trinken-beim-sport |
⇡4 | https://www.tri2b.com/triathlonnews/detail/article/trinken-die-mischung-machts-1067/ |
⇡5 | https://www.active.com/triathlon/articles/cracking-the-code-on-sweat-rates |
⇡6 | Institute of Medicine (US) Committee on Military Nutrition Research; Marriott BM, editor. Nutritional Needs in Hot Environments: Applications for Military Personnel in Field Operations. Washington (DC): National Academies Press (US); 1993. 5, Water Requirements During Exercise in the Heat. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK236237/ |
⇡7 | https://www.firefighternation.com/leadership/the-importance-of-staying-hydrated/ |
⇡8 | Institute of Medicine. 2005. Dietary Reference Intakes for Water, Potassium, Sodium, Chloride, and Sulfate (S. 158). Washington, DC: The National Academies Press. https://doi.org/10.17226/10925 |
⇡9 | National Research Council (US) Subcommittee on the Tenth Edition of the Recommended Dietary Allowances. (1989). Recommended Dietary Allowances: 10th Edition. National Academies Press (US) |
⇡11 | https://www.gesundheitsamt.bremen.de/fluessigkeitsmangel-im-alter-7978 |
⇡12 | https://www.gelbe-liste.de/nephrologie/nierensteine-wasser |
⇡13 | Thomas M. Hooton, Mariacristina Vecchio, Alison Iroz, Ivan Tack, Quentin Dornic, Isabelle Seksek, Yair Lotan. Effect of Increased Daily Water Intake in Premenopausal Women With Recurrent Urinary Tract Infections. JAMA Internal Medicine, 2018; DOI: 10.1001/jamainternmed.2018.4204 |
⇡14 | Chan, Jacqueline & Knutsen, Synnove & Blix, Glen & Lee, Jerry & Fraser, Gary. (2002). Water, Other Fluids, and Fatal Coronary Heart Disease The Adventist Health Study. American journal of epidemiology. 155. 827-33. 10.1093/aje/155.9.827. |
⇡15 | https://www.drinkoptimum.com/dehydration-the-risks-and-myths/ |
⇡16 | https://ncoa.org/article/the-truth-about-hydration-7-myths-and-facts |
⇡17 | https://www.bcm.edu/news/thirsty-you-are-already-dehydrated |
⇡18 | https://www.dr-gumpert.de/html/was_passiert_wenn_man_zu_viel_wasser_trinkt.html |
⇡19 | https://www.welt.de/sport/fitness/article143731940/Triathlet-30-stirbt-weil-er-zu-viel-Wasser-trank.html |
⇡20 | https://www.tz.de/welt/colorado-usa-junge-trinkt-zu-viel-wasser-und-stirbt-zr-13806172.html |
⇡21 | https://www.medicalnewstoday.com/articles/306638 |