Erste-Hilfe-Mythen: Herz-Kreislauf-System
Im Bereich der Ersten Hilfe gibt es viele Mythen und Missverständnisse, die im Notfall fatale Folgen haben können.
Besonders beim lebenswichtigen Herz-Kreislauf-System ist es entscheidend, die richtigen Maßnahmen zu kennen. Ob harmlose Kreislaufprobleme oder kompletter Herz-Kreislauf-Stillstand: Im Ernstfall gilt es, korrekt zu handeln.
Die eigenen Kenntnisse und Techniken rund um Erste-Hilfe-Maßnahmen sollte man im besten Fall regelmäßig üben und aktualisieren, da sich gebräuchliche Empfehlungen ab und an aufgrund von neuen Studienergebnissen ändern.
Bei Kreislaufproblemen die Beine hochlegen?
Dieser Rat wird oft gegeben, doch die Wahrheit ist: Es kommt auf den Kontext an. Das Hochlegen der Beine im Liegen (die sogenannte Schocklagerung[1]https://www.netdoktor.de/erste-hilfe/schocklagerung-schocklage/) kann bei leichten Kreislaufproblemen sinnvoll sein, um den Blutfluss zum Herzen zu fördern. Allerdings gibt es vor allem bei schweren Kreislaufproblemen oder zusätzlichen Verletzungen einige Fälle, bei denen diese Maßnahme nicht angewendet werden sollte, etwa bei:
- starker Unterkühlung: Es besteht die Gefahr eines sogenannten Afterdrop mit anschließendem Bergungstod, wenn stark abgekühltes Blut aus den Beinen plötzlich zurück in die Körpermitte fließt[2]https://baden.dlrg.de/fileadmin/groups/1000000/Medizin/Download/Handlungsempfehlung_Eisrettung.pdf
- Atemnot: Bei einer erschwerten Atmung ist es wichtiger, eine atemerleichternde Haltung einzunehmen, als den Kreislauf zu unterstützen[3]https://www.pari.com/de/blog/atemerleichternd-stellung-atemnot-husten/.
- Verletzungen am Oberkörper, Becken, Beinen oder Kopf: In diesen Fällen kann eine eventuelle Blutung verstärkt werden.
- Herzschwäche: Auch hier kann die Hochlagerung der Beine schädlich sein, da das ohnehin schon schwache Herz durch den verstärkten Rückfluss des Blutes mehr belastet wird.
- Verletzungen an der Wirbelsäule: Besteht die Gefahr einer Wirbelsäulenverletzung, sollte eine Person möglichst wenig bewegt werden, um eine Verletzung des Rückenmarks zu verhindern[4]https://www.netdoktor.de/erste-hilfe/schocklagerung-schocklage/[5]https://www.san-erlangen.de/VirtuelleSanArena-Erlangen-Html4/html/Topic08c292db84a94038b29a783cfaaccf16.html.
Aufgrund der zahlreichen möglichen Komplikationen sollte man also bei schwer Verletzten bzw. Personen mit einem lebensbedrohlichen Kreislaufschock[6]https://www.msdmanuals.com/de/heim/herz-und-gef%C3%A4%C3%9Fkrankheiten/niedriger-blutdruck-und-kreislaufschock/kreislaufschock auf das Hochlagern der Beine verzichten, sofern man notfallmedizinisch nicht ausreichend geschult ist. Bei leichten Kreislaufbeschwerden hingegen ist oft schon die Flachlagerung ohne erhöhte Beine ausreichend.
Verwechslung von Herzinfarkt und Schlaganfall
Oft werden die beiden Krankheitsbilder Herzinfarkt und Schlaganfall verwechselt. Tatsächlich sind sich beide sehr ähnlich:
Bei einem Herzinfarkt ist ein Herzkranzgefäß plötzlich verstopft, sodass der Herzmuskel selbst nicht mehr mit Blut versorgt wird und somit nach kurzer Zeit abstirbt.
Beim Schlaganfall (genauer gesagt, beim ischämischen Schlaganfall, welcher die Mehrheit aller Schlaganfälle ausmacht[8]https://www.mediclin-hedon-klinik.de/fachbereiche-krankheitsbilder/krankheitsbilder-a-z/ischaemischer-schlaganfall/) passiert das gleiche, allerdings im Gehirn.
Während ein Herzinfarkt meist durch Schmerzen (in der Brust, im Oberbauch oder auch in den linken Arm oder in den Rücken ausstrahlend), Atemnot, Schwitzen und ein Gefühl von großer Panik gekennzeichnet ist[9]https://herzstiftung.de/infos-zu-herzerkrankungen/herzinfarkt/anzeichen, zeigt sich ein Schlaganfall durch Symptome wie Sprach/Verständnisstörungen, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schwindel oder Lähmungen/Taubheitsgefühl auf einer Körperseite[10]https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/verstehen-vermeiden/schlaganfall-erkennen/symptome.
Nichtsdestotrotz kann eine schnelle Reaktion in beiden Fällen lebensrettend sein – darum sofort den Rettungsdienst rufen!
Besserwisser-Tip: Einen Schlaganfall erkennen
Einen Schlaganfall kann man mithilfe des BE-FAST-Schemas (engl. für „Sei schnell“) in den allermeisten Fällen erkennen – auch für medizinische Laien ist das Prinzip anwendbar. Die einzelnen Buchstaben beziehen sich auf die wichtigsten Punkte, auf die man achten sollte.
Je mehr davon auffällig sind, desto wahrscheinlicher handelt es sich um einen Schlaganfall[11]https://app.sop-easy.de/algorithmen/s4/be-fast-schema:
- Balance (Gleichgewicht): Plötzliche Schwierigkeiten beim Gehen oder Gleichgewicht halten (auch im Sitzen).
- Eyes (Augen): Verlust des Sehvermögens auf einem Auge oder Sehstörungen (z. B. Doppelbilder).
- Face (Gesicht): Einseitige Gesichtslähmung, bei der eine Gesichtshälfte oder nur der Mundwinkel herunterhängt bzw. nicht richtig bewegt werden kann.
- Arms (Arme): Schwäche oder Gefühlsverlust in einem Arm oder der Hand: Der Patient oder die Patientin ist beispielsweise nicht in der Lage, einen Arm über den Kopf zu heben oder mit der Hand kräftig zuzudrücken.
- Speech (Sprache): Sprach- oder Verständnisschwierigkeiten, wie z. B. undeutliches/verwaschenes Sprechen oder Wortfindungsstörungen.
- Time (Zeit): Zeit ist Leben – Je schneller man handelt und den Notruf wählt, desto höher sind die Chancen auf Genesung.
Pulskontrolle bei bewusstlosen Personen
Bei bewusstlosen Personen stellen sich viele die Frage, ob eine Pulskontrolle sinnvoll ist. Die beste Vorgehensweise für Ersthelfer ohne weitergehende notfallmedizinische Ausbildung ist jedoch in erster Linie, eine Atemkontrolle durchzuführen.
Für diese Atemkontrolle sollte man sich ganze 10 Sekunden Zeit nehmen, da die Atmung manchmal lediglich stark verlangsamt ist. Wenn die Person nicht atmet, sollte man sofort mit der Reanimation beginnen und parallel den Notruf wählen bzw. wählen lassen. Unerfahrene Ersthelfer halten sich mit einer Pulskontrolle – welche früher einmal empfohlen wurde[12]https://www.medinstrukt.de/ablaufschema-bewusstlose-person/ – in der Regel unnötig auf und vergeuden kostbare Zeit, da ein Ertasten des Pulses nicht immer einfach ist (vor allem nicht in der Aufregung).
Darüber hinaus geht eine nicht vorhandene Atmung normalerweise dem Herzstillstand voraus[13]https://www.medinstrukt.de/ablaufschema-bewusstlose-person/ – selbst wenn also keine Atmung, aber ein Puls feststellbar wäre, kann sich das innerhalb von kurzer Zeit ändern. Eine Anleitung für das Vorgehen bei bewusstlos vorgefundenen Personen bietet das Deutsche Rote Kreuz.
Reanimation: Mund-zu-Mund- oder Mund-zu-Nase-Beatmung?
Viele fragen sich, ob die Mund-zu-Mund- oder die Mund-zu-Nase-Beatmung nun die richtige Methode bei der Reanimation ist. Beide Techniken sind grundsätzlich möglich.
Aufgrund von Hygiene- und Praktikabilitätsgründen wird jedoch für Ersthelfer empfohlen, sich auf die Herzdruckmassage zu konzentrieren. Insbesondere wenn nur ein Helfer zur Verfügung steht, verzichtet dieser komplett auf eine Atemspende und führt durchgehend die Herzdruckmassage durch. Diese ist entscheidend für die Aufrechterhaltung des Blutflusses zum Gehirn und anderen lebenswichtigen Organen, bis professionelle Hilfe eintrifft und den Patienten mit Sauerstoff versorgen kann. Denn: Das Blut im Körper enthält zum Zeitpunkt des Herzstillstands noch einen gewissen Anteil an Restsauerstoff[14]http://www.apotheken.de/krankheiten/hintergrundwissen/4920-die-wiederbelebung-herzdruckmassage-atemspende-und-defibrillation, der jedoch nicht mehr durch das Herz im Körper verteilt werden kann. Eine zusätzliche Versorgung mit Sauerstoff durch Beatmen ist somit eher nebensächlich!
Steht mindestens noch eine weitere Person bereit, kann diese eine Mund-zu-Mund- oder Mund-zu-Nase-Beatmung durchführen, sofern sie sich dazu in der Lage sieht (Bei Erwachsenen gilt: Im Wechsel 30 x Drücken, dann 2 mal beatmen).
Bringt eine Herzdruckmassage Patienten wieder zu Bewusstsein?
Ein weit verbreiteter Mythos ist, dass eine Herzdruckmassage Patienten zurück zu Bewusstsein bringen kann. Dies ist in aller Regel nicht der Fall (außer natürlich in Film und Fernsehen). Die Herzdruckmassage ist allerdings eine wichtige Maßnahme, um einen minimalen Blutfluss aufrechtzuerhalten und kann somit das Überleben des Patienten kurzzeitig sichern. Längerfristig geschieht eine Wiederbelebung inklusive Wiederherstellung des Bewusstseins jedoch erst, nachdem ein (Not-)Arzt bestimmte Medikamente verabreicht und andere intensivmedizinische Maßnahmen durchgeführt hat.
Eine große Portion Glück ist ebenfalls erforderlich: Laut Bundesgesundheitsministerium sind nur 11 Prozent aller Reanimationsversuche erfolgreich, sodass ein Patient überlebt[16]https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/h/herz-kreislauf-stillstand. Die Herzdruckmassage alleine ist also nicht genug, sondern ist Teil eines umfassenderen Rettungsprozesses – womit wir beim nächsten Mythos auf dieser Liste wären.
Beim Herzstillstand defibrillieren
Ein häufiges Missverständnis ist die Annahme, dass eine Defibrillation durch einen AED (automatischer externer Defibrillator, oft auch Defi genannt) als rettende Maßnahme bei jedem Herzstillstand eingeleitet wird. Durch dramatisch inszenierte Wiederbelebungen vieler Filmproduktionen hat sich dieser Mythos verbreitet.
Tatsächlich kommt die Defibrillation jedoch beim Kammerflimmern oder einer sogenannten pulslosen ventrikulären Tachykardie zum Einsatz. Beides sind Zustände, während derer das Herz so unkoordiniert schlägt, dass kein Blut mehr durch den Körper gefördert wird [17]https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/herz-und-kreislauf/was-ist-ein-defibrillator-und-wie-wendet-man-ihn-an/.
Ein AED/Defi sollte jedoch stets bei einem reanimationspflichtigen Patienten verwendet werden, da man ohne dieses Gerät den Unterschied zwischen einem Herzstillstand und Kammerflimmern nicht erkennen kann. Über die aufgeklebten Elektroden kann das Gerät jedoch messen, ob noch elektrische Herzaktivität vorhanden ist. Ist dies der Fall, können die reanimierenden Helfer über eine entsprechende Taste die Defibrillation auslösen, welche das Herz unter Umständen wieder in einen regelmäßigen Rhythmus bringt.
Lesetipps
- Erste Hilfe leisten – das kannst du tun! (Malteser Hilfsdienst)
- Erste Hilfe: Praktische Anleitungen (Deutsches Rotes Kreuz)
- Erste Hilfe: Das sollten Sie im Notfall beachten (ADAC)
- Erste-Hilfe-Mythen (Teil 1): Wunden
Verweise
⇡1, ⇡4 | https://www.netdoktor.de/erste-hilfe/schocklagerung-schocklage/ |
---|---|
⇡2 | https://baden.dlrg.de/fileadmin/groups/1000000/Medizin/Download/Handlungsempfehlung_Eisrettung.pdf |
⇡3 | https://www.pari.com/de/blog/atemerleichternd-stellung-atemnot-husten/ |
⇡5 | https://www.san-erlangen.de/VirtuelleSanArena-Erlangen-Html4/html/Topic08c292db84a94038b29a783cfaaccf16.html |
⇡6 | https://www.msdmanuals.com/de/heim/herz-und-gef%C3%A4%C3%9Fkrankheiten/niedriger-blutdruck-und-kreislaufschock/kreislaufschock |
⇡7 | https://www.apotheken.de/gesundheit/gesund-leben/notfaelle-und-erste-hilfe/12119-wann-spricht-man-von-einem-schock |
⇡8 | https://www.mediclin-hedon-klinik.de/fachbereiche-krankheitsbilder/krankheitsbilder-a-z/ischaemischer-schlaganfall/ |
⇡9 | https://herzstiftung.de/infos-zu-herzerkrankungen/herzinfarkt/anzeichen |
⇡10 | https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/verstehen-vermeiden/schlaganfall-erkennen/symptome |
⇡11 | https://app.sop-easy.de/algorithmen/s4/be-fast-schema |
⇡12, ⇡13 | https://www.medinstrukt.de/ablaufschema-bewusstlose-person/ |
⇡14 | http://www.apotheken.de/krankheiten/hintergrundwissen/4920-die-wiederbelebung-herzdruckmassage-atemspende-und-defibrillation |
⇡15 | Jiang L, Zhang JS. Mechanical cardiopulmonary resuscitation for patients with cardiac arrest. World J Emerg Med. 2011;2(3):165-8. doi: 10.5847/wjem.j.1920-8642.2011.03.001. PMID: 25215003; PMCID: PMC4129716 |
⇡16 | https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/h/herz-kreislauf-stillstand |
⇡17 | https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/herz-und-kreislauf/was-ist-ein-defibrillator-und-wie-wendet-man-ihn-an/ |