In unserer Welt kursieren nicht nur zuverlässige und zutreffende Informationen, sondern auch zahlreiche unwahre, fehlerhafte und unvollständige. Fake News, Wissensmythen, Legenden, Irrtümer und Mythen existieren sowohl in unseren Köpfen, als auch in geschriebener Form.

Für die Entstehung von Mythen gibt es oft nachvollziehbare Motive. Teilweise werden Mythen sogar aktiv aufrecht erhalten. Oft ist es jedoch die mangelnde Kommunikation oder eingeschränktes Verständnis von Wissen, das zur Mythenbildung und -verbreitung führt.

Wissensmythos, Irrtum, Halbwissen, Sage - verwandte Begriffe

Wissensmythen mögen teilweise kurios und amüsant sein oder genießen regelrechten Kultstatus. Andere wiederum stellen Paradebeispiele für die virale Informationsausbreitung dar.

Die Kehrseite der Medaille ist weniger glänzend: Grobe Irrtümer und gefährliche Wissensmythen lassen uns denken, dass:…

  • Alkohol das Einschlafen begünstige oder die Verdauung fördere,
  • Light-Produkte beim Abnehmen helfen würden,
  • Vorsorgeuntersuchungen immer sinnvoll seien,
  • u. v. m.

Insbesondere wenn es um Gesundheit und Wohlbefinden geht, sind solche Irrtümer fatal. Um sie zu verstehen, sollten die verschiedenen Begrifflichkeiten zunächst definiert werden.

Definition und Abgrenzung: Mythos, Irrglaube & Co

Fehlerhafte Information kann sich in verschiedensten Formen und Ausprägungen zeigen. Unterscheiden kann man diese nach Entstehen, Ausmaß und ggf. den Intentionen dahinter. Keine Definition ist dabei hundertprozentig präzise, weshalb die folgende Abgrenzung als Orientierung zu verstehen ist.

Mythos

Seiner griechischen Bedeutung nach bedeutet Mythos neben Wort oder Rede auch Sage, Erzählung oder Märchen. Der Begriff bezog sich ursprünglich auf Überlieferungen rund um Götter, Menschen oder die Welt an sich. Insbesondere in Göttergeschichten werden die Taten von unrealen Persönlichkeiten verherrlicht.

Verwandt und begrifflich kaum unterscheidbar von einem Mythos sind die Legende sowie die Sage.

Als Wissensmythos soll hier ein Sachverhalt bezeichnet werden, der mit alltagsnahen Informationen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen zutun hat. Dies alleine sagt dabei noch nicht aus, ob es sich um eine wahre oder falsche Tatsache handelt. Vielmehr geht es um Wissen oder vermeintliches Wissen, welches eine gewisse Brisanz oder Relevanz mit sich bringt.

Wie viel Wahrheit steckt in Mythen?

Meistens jedoch wird das Wort im negativen Sinn gebraucht, d.h. auf irrtümliche, falsche Informationen bezogen. Zum Beispiel kann die angeblich heilende Wirkung einer bestimmten Pflanze ein Mythos sein.

Urban legend

Großstadtlegenden (engl. urban legends) bzw. moderne Sagen sind kurze, oft skurille, anekdotische Erzählungen. Sie werden überwiegend über das Internet verbreitet werden und genießen teilweise Kultstatus. Die Quelle sowie die darin vorkommenden Personen sind meist anonym oder unbekannt. Darun kann ihre Richtigkeit normalerweise nicht überprüft werden.

Meist stellen Urban Legends Geschichten dar, die dem Freund eines Freundes passiert sind (Friend of a Friend tales).

Beispiele für solche, oft Angst verbreitenden Erzählungen kennt sicher jeder: Das Krokodil im Abwassersystem von New York City ist in den USA bekannt. Ebenso die urbane Legende einer Person, die sich im Kino auf eine Nadel gesetzt hat, daneben der Zettel mit dem Text „Willkommen im Club. Sie wurden gerade mit HIV infiziert“.

Urban legends haben Ähnlichkeit mit Volksmärchen, die man früher mündlich weitergegeben hat[1]https://www.spiegel.de/geschichte/moderne-mythen-zu-schoen-um-falsch-zu-sein-a-948288.html.

Fake News

Bei Fake News handelt es sich um Falschmeldungen, die bewusst mit manipulativer Absicht verbreitet werden. Sie sind häufig politisch oder kommerziell motiviert.

Manchmal wird in diesem Zusammenhang auch von Lügenpresse in Bezug auf einzelne Medien gesprochen. Verwandt damit ist der im Englischen verwendete Begriff Hoax (engl. Streich, Schwindel). Mit Hoax werden eher harmlose Falschinformationen gemeint. Ähnlichkeit besteht auch zur Zeitungsente, die auch unbeabsichtigter Weise falsch sein kann.


Fake News rücken zwar im Zuge zunehmender digitaler Vernetzung als modernes Phänomen in den Vordergrund. Sie kamen allerdings schon im antiken Griechenland auf[2]https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/09/fake-news-in-der-antike-schon-die-alten-griechen-nutzten-falschinformationen.

Beispiele für moderne Fake News: Ein angebliches Weihnachtsgeld für in Deutschland lebende Flüchtlinge in Höhe von 700 Euro[3]https://www.presseportal.de/pm/133833/4460364 sowie diverse Falschinformationen in Verbindung mit der Covid-19-Pandemie[4]https://www.faktencheck-gesundheitswerbung.de/corona/falschinformationen-ueber-covid19-54475[5]https://www.tagesschau.de/faktenfinder/faktenchecks-corona-101.html.

Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien sind Erklärungsversuche für Ereignisse, hinter denen oft Personengruppen stehen, die meist heimtückische oder illegale Interessen durchzusetzen versuchen. Sie treten vor allem im Kontext bedrohlicher Krisen auf. Dabei scheinen Verschwörungstheorien unübersichtliche Situationen einfach erklärbar zu machen.

Oft werden dabei Feindbilder konstruiert oder geschürt. Davon sind mitunter politische oder religiöse Einrichtungen sowie bestimmte ethnische Gruppen betroffen. Psychologisch betrachtet stellen Verschwörungstheorien möglicherweise Bewältigungsstrategien dar, um zufallsgesteuerte Vorgänge zielgerichtet erscheinen zu lassen.Verschwörungstheorien sind oft komplex

Die Verbreitung von Verschwörungstheorien wird durch das Internet begünstigt, ähnlich wie bei Fake News. Nichtsdestotrotz gibt es Verschwörungstheorien schon seit vielen Jahrhunderten. Manche unter den heute kursierenden Theorien sind weniger ernst gemeint und werden aus Gründen der Unterhaltung verbreitet. Darunter zählen auch solche, mit denen auf Freimaurer und  Illuminaten angespielt wird[6]https://kurier.at/buzz/15-untruegliche-zeichen-fuer-die-macht-der-illuminati/106.692.378.

Dass Verschwörungstheorien keine harmlosen Spinnereien sind, zeigte sich in der Vergangenheit vielfach. Der dadurch angerichtete Schaden war und ist noch heute immens[7]https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/holocaust-leugnung-und-verzerrung-bekaempfen.

Indirekt in Verbindung mit Mythen stehen auch folgende Phänomene, die für das Verständnis von Mythen und Irrtümern nützlich sind.

Aberglaube

Glaube und Aberglaube sind sehr verwandt und in den Köpfen sehr vieler Menschen verankert. Aberglaube hebt sich insofern vom Glauben ab, als dass Überzeugungen und Lehrmeinungen abseits der vorherrschenden religiösen Anschauungen vertreten werden.Freitag der Dreizehnte bringt Unglück

Abergläubische Menschen folgen Überzeugungen, die weder bewiesen noch wissenschaftlich fundiert sind. Meistens sind diese zwar überliefert, aber nur scheinbar vielfach bestätigt. Die Ausprägungen sind kulturell sehr verschieden.

Aberglaube zieht jedoch auch Menschen in seinen Bann, die nicht abergläubisch sind. Regelmäßig greifen wir in alltäglichen Situationen auf diese abergläubischen Scheinweisheiten zurück: An einem Freitag den Dreizehnten fachsimpeln wir über bevorstehendes Unglück. Wir drücken anderen die Daumen, klopfen auf Holz oder achten penibel darauf, dem Gegenüber beim Anstoßen mit einem Getränk in die Augen zu sehen. Auch vertrauen wir auf typische Symbolik, wenn wir Kleeblätter, Glücksschweinchen, Schornsteinfeger oder sonstige Glücksbringer tragen oder verschenken.

Da diese Verhaltensweisen mehr oder weniger ernsthaft sind, kann Aberglaube schon fast als Kulturgut angesehen werden!

Durch Aberglaube versucht der Mensch, die Kontrolle über gewisse Dinge und Vorgänge zu behalten. Es kann durchaus nützlich sein, wenn man beispielsweise durch den Aberglauben an Glücksbringer oder das Schicksal an Selbstvertrauen und Stärke gewinnt.

Vorurteile

Vorurteile sind Urteile über Personen, ganze Gruppen oder Sachverhalte, die nicht auf umfangreicher, fundierter Abwägung und Untersuchung basieren.

Positive („Hunde sind treu“, „Mexikaner sind gastfreundlich“) sowie negative Vorurteile („Alle Politiker lügen“, „In England regnet es ständig“) sind also nicht das Ergebnis genauer Überprüfung. Sie sind übermäßig verallgemeinernd und beruhen auf einseitigen oder unzureichenden Erfahrungen.

Vorurteile polarisieren: gut oder schlecht?
Vorurteile können positiv oder negativ formuliert sein. Dank ihnen wirkt die Welt oft schwarz-weiß.

Vorurteile werden oft herangezogen, um Sündenböcke zu finden. Durch sie kann die eigene soziale Gruppe aufgewertet bzw. fremde Gruppen abgewertet werden[8]https://www.sueddeutsche.de/leben/identitaet-gruppen-diskriminierung-vorurteile-1.5291348. Oft dienen sie lediglich der Komplexitätsreduktion: Durch Vorurteile werden Informationen gefiltert und Zusammenhänge vereinfacht.

Unsere Umwelt setzt sich oft aus zu vielen Eindrücken und Informationen zusammen. Daher können wir sie nicht immer in ihrer gesamten Komplexität erfassen und verarbeiten. Vorurteile „helfen“ in diesen Fällen, zu einer Meinung oder Einschätzung zu gelangen.

Wo stößt man auf Wissensmythen?

Kurz gesagt: Die Welt ist voll von Irrtümern, Mythen und Falschwissen. Glücklicherweise steht dem gegenüber auch eine sehr große Menge an zuverlässigem, wahren und brauchbaren Wissen. Es existiert kein Medium seien es Bücher, Zeitschriften, Filme, Social Media-Kanäle oder Websites welches prinzipiell frei von Irrtümern und Mythen ist.

Social Media verbreiten oft Falschinformationen und Mythen

Vom Laien bis zum Experten unterliegt jeder Mensch einer Vielzahl von Irrtümern. Und ebenso trägt diese niemand nur im eigenem eigenen Kopf mit sich rum, sondern reicht sie auch an andere weiter. Immerhin: Uns wird immer mehr bewusst, dass diese Mythen unser Denken und Handeln tagtäglich prägen.

An verschiedensten Stellen wird heutzutage über diese Mythen aufgeklärt: In Online-Magazinen, TV-Sendungen, Ratgebern und Büchern. Die Rede ist von Sport- und Gesundheitsmythen, Diät- bzw. Ernährungsmythen, Sex- und Dating-Mythen, religiösen Mythen, Mythen der Allgemeinbildung sowie von historischen Mythen. Einige Beispiele, die vielen von uns geläufig sein dürften:

  • Techniker, die glauben, dass Daten von Festplatten erst nach mehrmaligem Überschreiben vollständig gelöscht seien
  • Köche, die glauben, dass Pilze nicht gewaschen werden sollten.
  • Sportler, die glauben, dass Dehnen gegen Muskelkater helfe oder Verletzungen vorbeuge.
  • Eltern, die glauben, dass Impfungen gefährlich für die Entwicklung ihrer Kinder seien.
  • Männer, die glauben, dass sie effektiveres Muskeltraining betreiben könnten als Frauen.
  • Frauen, die glauben, Männern in Bezug auf ihre Trainierbarkeit nachzustehen.
  • Krimi-Fans, die glauben, Phantombilder ließen sich aufgrund von DNA-Sequenzierung anfertigen.
  • Jugendliche, die glauben, man könne Kühe im Schlaf umschubsen.
  • Schüler und Studierende, die glauben, sie hätten ihren individuellen Lerntyp.
  • Diättreibende, die glauben, Light-Produkte wären gesund und würden beim Abnehmen helfen.

Sehr einfach haben es Mythen, wenn sie unser Wunschdenken befeuern („Alkohol hilft beim Verdauen„; „Zucker aus Obst ist gesünder als Industriezucker„) oder vermeintlich simple Tatsachen erklären („Kälte verursacht Erkältungen„). Oft sind sie auch das Überbleibsel von einem veralteten Stand der Forschung („Gehirnzellen können sich nicht regenerieren„, „Lesen im Dunkeln schadet den Augen„, „Elektronen kreisen um den Atomkern„). Wissensmythen sind so allgegenwärtig wie das Wissen selbst.

Ursprung des Irrtums: Wissensmythen und ihre Ursprünge

Irren ist menschlich. Der Ursprung der meisten Wissensmythen und Irrtümer erklärt sich wohl durch menschliche Unvollkommenheiten. Diese sind der ideale Nährboden, auf dem Irrtümer gedeihen können.

Die folgenden Faktoren können ursächlich oder förderlich auf Wissensmythen wirken. In den allermeisten Fällen sorgt eine Kombination aus mehreren Faktoren für die Entstehung oder Aufrechterhaltung eines Mythos.

Wunschdenken

Durch Wunschdenken beschönigen wir etwas und ignorieren dabei Realität und Vernunft. Es bringt uns Menschen dazu, Überzeugungen anzunehmen, von denen wir gerne hätten, dass sie wahr und zutreffend sind.

Wunschdenken ist psychologisch betrachtet eine Form von kognitiver Verzerrung. Wir werden dazu verleitet, Risiken auszublenden oder herunterzuspielen. Wir sehen Vorteile an Dingen, die gar nicht vorhanden sind. Die Folge ist letztendlich eine Realitätsverdrängung.

So wird z.B. Obst gerne als gesunder Ersatz für Schokolade, Bonbons und Co. angesehen. Schließlich seien Früchte ja natürlich, und Natürliches könne ja nur gesund sein!

Verknüpfung von naheliegenden Informationen

Ein Irrtum kann auf einer fehlerhaften Assoziation beruhen, mithilfe derer man Fakten und Tatsachen zusammenbringt. Die Grundlage können korrekte Fakten bilden, aus denen dann falsche Tatsachen abgeleitet werden.
So weiß beinahe jedes Kind, dass Albert Einstein die Relativitätstheorie aufgestellt hat. Die meisten dürften ebenfalls wissen, dass er mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Zusätzlich glauben viele, dass Einstein der Nobelpreis für die Relativitätstheorie verliehen worden sei! Es wird ein künstlicher Zusammenhang geschaffen, indem zwei bekannte Fakten über Albert Einstein miteinander verknüpft werden.

Tatsächlich erhielt Einstein den Nobelpreis für seine Forschungen auf dem Gebiet der Quantenphysik, insbesondere der Erklärung des photoelektrischen Effekts[9]https://www.uzh.ch/cmsssl/de/researchinnovation/excellence/nobelprize/einstein.html. Mit diesem ist die breite Bevölkerung allerdings nicht so sehr vertraut wie mit der Relativitätstheorie. Darum fällt uns die Verknüpfung mit der bekannteren Relativitätstheorie leichter.

Eine weitere, verbreitete Assoziation haben Konsumenten von Energy-Drinks: dass Taurin für den wachmachenden oder leistungsfördernden Effekt des Getränks (mit)verantwortlich sei. Die Annahme liegt nahe. Schließlich wird Taurin neben dem ebenfalls enthaltenen Koffein gleichermaßen als Inhaltsstoff beworben. Es sind zwar diverse biologische Effekte von Taurin nachgewiesen. Für einen leistungssteigernden Effekt gibt es jedoch derzeit keine eindeutigen Belege. Taurin ist übrigens in diversen Lebensmitteln enthalten und kann auch von unserem Körper selbst hergestellt werden[10]https://utopia.de/ratgeber/taurin-wirkung-mythen-und-nebenwirkungen-der-aminosaeure/.

Verallgemeinerungen und Vereinfachungen

„Man muss zwei Liter Flüssigkeit am Tag trinken.“

„Mit einer Zeckenimpfung ist man vor Zeckenbefall sicher“ und gegen alle durch Zecken übertragene Krankheiten geschützt.

„Die Lichtgeschwindigkeit ist konstant“ und „nichts ist schneller als das Licht“.

Solche scheinbar allgemein gültigen Aussagen machen einen Großteil unseres Alltagswissens aus. Es wäre allerdings zu schön um wahr zu sein, wenn sich die Wirklichkeit derart simpel, kurz und knapp beschreiben ließe.

Faustregeln stellen eine Art von Verallgemeinerung dar. Es sind simpel gehaltene Aussagen, die in den meisten Fällen oder zumindest näherungsweise zutreffen. Fachleute sprechen auch von Heuristiken: Durch verkürzte Denkprozesse werden Schlussfolgerungen zu eigentlich komplexen Sachverhalten gezogen, mit denen man in den meisten Fällen richtig liegt.

Faustregeln bzw. Heuristiken sind praktisch, wenn etwas nicht 100%ig genau genommen werden muss. Auch kann durch Faustregeln umfangreiches Wissen leicht verständlich auf den Punkt gebracht werden.

Für Nicht-Fachleute sind diese dann von praktischem Nutzen und leicht anwendbar, während Experten die ganze Wahrheit dahinter kennen.

Übrigens sind auch viele Vorurteile in Verallgemeinerungen begründet.

Scheineffekte

Wachsen Haare schneller nach, nachdem sie geschnitten wurden? Nein, aber es hat oft den Anschein. Da Haare mit der Zeit zu den Spitzen hin dünner werden und ausbleichen, tragen sie weniger zum Haarvolumen bei. Werden sie schließlich geschnitten, sind die neu entstandenen Spitzen zunächst nicht so spitz und besitzen noch eine kräftigere Farbe. In den nachfolgenden Wochen wachsen sie mit üblicher Geschwindigkeit.

Diese erscheint allerdings schneller, da es etwas dauert, bis sich die Haare erneut zuspitzen und außen ausbleichen. Aus diesem Scheineffekt erwuchs der Haarmythos.

Unzureichende Erforschung

Das Sammeln von Beobachtungen und Erfahrungen, aus denen dann Schlussfolgerungen gezogen und Gesetzmäßigkeiten bestimmt werden können, ist die Basis für die Entstehung von Wissen (empirische Herangehensweise).

Dieses Wissen kann jedoch nur zutreffend sein, wenn die genannte Methodik korrekt angewandt wurde. So sind nicht alle augenscheinlichen Zusammenhänge auch wirklich kausal, also ursächlich miteinander verbunden, sondern oft zufällig bedingt. Da Menschen jedoch meisterhaft darin sind, Zusammenhängendes in zufälligem Rauschen zu erkennen, ergeben sich ständig Gelegenheiten für neue Irrtümer.

Wie verbreiten sich Mythen?

Teilweise sorgen die selben Mechanismen hinter der Entstehung von Mythen auch für deren Verbreitung und Aufrechterhaltung.

Nicht immer sind diese das Produkt aus menschlichem Irrtum oder unzureichender Forschung. Teilweise werden sie auch ganz bewusst in die Welt gesetzt oder in ihrer Verbreitung gefördert. Dahinter können kommerzielle, ideologische oder erzieherische Motive stehen.

Die Dynamik ihrer Verbreitung kann leichter verstanden werden, wenn man sich Informationsausbreitung im Allgemeinen anschaut. Information bzw. Wissen jeder Art verbreitet sich umso besser, je relevanter, interessanter oder brisanter es ist.

Dies gilt unabhängig vom Kommunikationsmedium, sei es das Fernsehen, Printmedien, Social Media-Netzwerke oder Gespräche von Angesicht zu Angesicht. Im Bereich Social Media kommt zusätzlich der Faktor Aktualität hinzu: Eine brandneue Information geht viel leichter viral als alter Tobak.

Mythen als Marketing: Die Rolle der Medien

Eine gute Story verkauft sich von allein. Und wenn mal keine solche zur Hand ist, erfindet man sie eben. In vielen Medien wird auf dieses Prinzip gebaut, sei es bei der Vermarktung von Konsumprodukten oder in den Unterhaltungsmedien.

Zeitungen und andere Medien befeuern oft Mythen

Dabei wird man nicht selten unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit für dumm verkauft. Fiktionale Filme und Serien sind ebenfalls eine effektive Quelle für unzuverlässiges Wissen. Einerseits sind reale Wahrheiten oft zu uninteressant und langweilig, um sich gut zu verkaufen, andererseits funktioniert die fiktionale Welt von Film und Fernsehen schlicht und einfach anders als die Wirklichkeit. Ein Beispiel für eine populären, aber widerlegten Mythos ist der 10-Prozent-Mythos: Zwar benutzt der Mensch deutlich mehr als 10 Prozent seiner Gehirnkapazität der Mythos ist aber eine gute Grundlage für einen spannenden Hollywood-Plot.

Vieles muss in vereinfachter, verallgemeinerter oder komprimierter Form dargeboten werden, worunter die Korrektheit unweigerlich leidet.

Nicht immer kann man von expliziten Mythen sprechen. Oft handelt es sich auch um lediglich suggerierte, implizite Scheinfakten.

So explodieren in Actionproduktionen regelmäßig Autos, nachdem verunglückte Fahrzeuge in Brand geraten. Was stets nur suggeriert, aber selten ausformuliert wird, ist das explosive Potential von Benzin im Tank. Das daraus entstandene Falschwissen („Brennende Autos können explodieren„) hat sich in der Bevölkerung als Wissensmythos festgesetzt.

Film-Mythos: Brennende Autos explodieren
Normalerweise ist der Kraftstofftank eines Autos kein schlummerndes Pulverfass. Spektakuläre Autoexplosionen gehören ins Reich der Mythen – und Filme.

Zwar sind Benzin-Luft-Gemische im richtigen Mischungsverhältnis durchaus explosiv, genau wie eine Vielzahl anderer Gemische mit Luft (selbst fein zerstäubtes Mehl!). Bei verunfallten Fahrzeugen sind diese Bedingungen allerdings höchst unwahrscheinlich. Liegt kein explosives Gemisch vor, brennt Benzin langsam ab.

Kriminalfilme und -serien sind besonders häufig Quelle für Wissensmythen oder bestenfalls falsche Darstellungen von Tatsachen. Darunter fallen viele wissenschaftliche Aspekte oder jene, die mit Polizei- und rechtsmedizinischer Arbeit zutun haben.

So können scheinbar Phantombilder von Verdächtigen auf Grundlage einer DNA-Analyse erstellt werden, die Flugbahn von Patronen sowie das Waffenkaliber anhand einer Schusswunde bestimmt werden oder unscharfe Autokennzeichen auf Videoaufnahmen digital „entpixelt“ werden.

Ganze Berufsbilder werden durch die Fülle an falschen Darstellungen verzerrt. So sind Film-und-Fernsehen-Rechtsmediziner rund um die Uhr mit Autopsien von Leichen aus Mordfällen beschäftigt und besitzen neben ihrer medizinischen Qualifikation auch umfangreiche Fähigkeiten in Sachen Toxikologie, Ballistik und Co.

Rechtsmediziner: kein Schweizer Taschenmesser
Wissenschaftler bzw. Rechtsmediziner sind kein Schweizer Taschenmesser

Film-Wissenschaftler sind oft Universalgenies, besitzen Universallabors für jede Art von Analysen und liefern binnen Stunden umfassende, eindeutige und zutreffende Berichte ab. Tatsächlich sind diese Berufe in Wirklichkeit hochspezialisiert. Für die filmische Darstellung werden ihnen aus Gründen der Einfachheit geradezu Superkräfte verliehen.

Am vielleicht unbedenklichsten in dieser Hinsicht sind deshalb wohl Fantasyfilme. Denn von diesen erwartet man als Zuschauer gar nicht erst, dass reale und zutreffende Sachverhalte gezeigt werden.

Antriebsquelle Forschungsgelder: Großer Wirbel um wissenschaftliche Erkenntnisse

Nicht immer stecken Journalisten, Drehbuchautoren oder Filmemacher (bewusst oder unwissentlich) hinter den übertriebenen oder verzerrten Inhalten mancher Berichterstattungen.

Oftmals sind es die ursprünglichen Entdecker neuer Erkenntnisse und Ergebnisse, denen es an einer möglichst spektakulären Mediendarstellung gelegen ist.

Forscher sind stets die primären Autoren wissenschaftlicher Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, die überwiegend von anderen Forschern sowie Wissenschaftsjournalisten gelesen werden. Schon an dieser Stelle gestaltet es sich schwierig, verlässliche Daten angesehener Magazine abzugrenzen von zahlreich vorhandenen, unseriösen Fachzeitschriften[11]https://www.sueddeutsche.de/wissen/forschungspolitik-wir-brauchen-ein-guetesiegel-fuer-wissenschaftsjournale-1.4061246[12]https://www.higgs.ch/der-fluch-und-segen-von-wissenschaftlichen-zeitschriften/25617/ oder „Raubjournalen“[13]https://www.elsevier.com/de-de/solutions/scopus/content-curation/unseriose-vs-seriose-fachzeitschriften. Fachredakteure und -journalisten greifen die Inhalte aus den primären Quellen in den populären Medien auf und tragen sie an die breite Bevölkerung weiter.

Forscherin vor Bücherregal

Jede wissenschaftliche Einrichtung weltweit – beispielsweise Hochschulen, Stiftungen oder auch Unternehmen – ist dabei auf Forschungsgelder angewiesen[14]https://www.academics.de/ratgeber/forschungsfoerderung.

Produziert eine Einrichtung keine relevanten verwertbaren Forschungsergebnisse, kann sie auf Dauer nicht bestehen bleiben. Wissenschaftler müssen demnach stets ihre Finanzierung im Blick behalten und regelmäßig brauchbare Daten liefern. Dabei konkurrieren sie mit einer Vielzahl anderer Forscher. Eine gewisse Übertreibung und gezielte positive Darstellung Ihrer veröffentlichten Erkenntnisse ist somit oft notwendig.

So wird beispielsweise

  • in der zellbiologischen Grundlagenforschung auf das bessere Verständnis von Krebserkrankungen dank der gewonnenen Ergebnisse verwiesen,
  • in der Materialforschung neue Arten des Recyclings beworben, die zum Verlangsamen des Klimawandels beitragen können, oder
  • in der Gehirnforschung aufgezeigt, wie man durch Sport, Gehirnjogging und Ernährung kognitive Leistungen verbessern kann[15]https://www.spektrum.de/news/mancher-leidet-am-gehirn-uebertreibungssyndrom/1146202.

Nicht selten entstehen im Handumdrehen Mythen, wenn spektakulär dargestellte Forschungsergebnisse auf Wunschdenken in der Bevölkerung treffen, um vermeintliche Probleme zu lösen und unser Leben zu verbessern.

Erfolgsmythen: Booster für mehr Selbstbewusstsein

„Albert Einstein war schlecht in Mathe. Sieh, was aus ihm geworden ist: Physik-Nobelpreisträger und einer der bekanntesten Wissenschaftler überhaupt!“ So oder so ähnlich wird gerne über das Genie Einsteins geredet und betont, wie schlecht seine Aussichten auf eine wissenschaftliche Karriere anfangs waren.

Ein Aufstieg in der Wissenschaft als „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Analogie ist die perfekte Anekdote, um nicht ganz so erfolgreichen Schülern Mut und Hoffnung zu geben. Einstein war interessiert an Naturwissenschaften und Mathematik und hatte als begabter Schüler zwar regelmäßig Fünfen und Sechsen in diesen Fächern.

Im schweizerischen Schulsystem sind dies allerdings damals wie heute die Bestnoten. Die schweizerische Notenskala ist im Vergleich zur deutschen nämlich „verkehrt herum“ angeordnet.

Das Hummel-Paradoxon: „Es ist physikalisch unmöglich, dass eine Hummel fliegt. Sie macht es trotzdem.“
In Erfolgs- und Persönlichkeitsratgebern oder -seminaren wird einem dieser „Fakt“ gerne verkauft. Die Botschaft: „Du weißt gar nicht, was alles in Dir steckt. Du musst es nur wollen, dann gibt es keine Grenzen“.

Der fast 100 Jahre alte Mythos fußt auf einem fehlerhaften Vergleich der Hummel mit Flugmaschinen mit starren Tragflächen. Letzte würde bei vergleichbaren Abmessungen wie eine Hummel tatsächlich nicht fliegen.

hummel-kann-nicht-fliegen-mythos
Eine Hummel muss nicht gegen die Gesetze der Physik verstoßen, um fliegen zu können.

Hummeln setzen ihre Flügel aber hochdynamisch ein, was erst mit der Entwicklung von modernen Hochgeschwindigkeitskameras gezeigt werden konnte. Darum ist es ihnen sehr wohl möglich, sich in der Luft zu halten was man eigentlich auch tagtäglich beobachten kann.

Coaching-Mythen wie dieser sind genauso falsch, wie sie wirksam sind: Sie spornen Menschen an und verleihen Selbstbewusstsein. Der didaktische Kniff funktioniert dabei auf Kosten der Korrektheit.

Mythen mit pädagogischem und didaktischem Motiv

„Spinat macht stark“, „Musizieren macht klug“ und „Lesen im Dunkeln schadet den Augen“. Manche Volksmythen scheinen geradezu dafür gemacht dafür, vor Kindern heruntergebetet zu werden um sie dazu zu bringen, bestimmte Dinge zu tun oder zu lassen.

Oft werden angeblich positive (oder negative) Effekte von bestimmten Tätigkeiten angepriesen. Dies dient oft der Anerziehung von richtigem bzw. gewolltem Verhalten, für welches Eltern eine plausible Begründung brauchen. Möchte man den Nachwuchs fern von Fast Food halten, preist man gesundes Essen wie Spinat an. Soll das Kind abends schlafen und nicht heimlich unter der Bettdecke lesen, wird vor dem angeblich schädlichen Effekt auf die Augen gewarnt.

Mythen mit pädagogischem Hintergrund

Mythen wie diese sind vermeintlich wissenschaftlich belegt, wobei dies vermutlich die wenigsten überprüft haben. Der Grund für deren Verbreitung ist schlichtweg erzieherischer Natur.

Da die Realität oft komplexer und schwieriger zu begreifen ist, als man es gerne hätte, wird auch im didaktischen Kontext gerne auf Wissensmythen zurückgegriffen. Lehrkräfte sowie Lehrbücher vermitteln oft falsches Wissen, das jedoch leichter zu verstehen.

Ob dies unbewusst oder gezielt passiert, sei dahingestellt.

Kinder lernen, dass es unter den Lebewesen solche gebe, die sich bewegen und Geräusche von sich geben (Tiere), und andere, die aus dem Boden wachsen und somit Pflanzen seien. Diese Einteilung schreibt allerdings Pilze (oder auch Korallen) fälschlicherweise den Pflanzen zu (was auch bis ins Zwanzigste Jahrhundert hinein die vorherrschende Lehrmeinung war). Da Kinder in diesem Alter jedoch mit den zellbiologischen Unterschieden der verschiedenen Lebenwesen überfordert wären, ist die vereinfachende „Faustregel“ didaktisch sinnvoller.

Leider ist die Folge davon, dass sich das in frühen Jahren angeeignete (falsche) Wissen zu stark einprägt. Noch als Erwachsene gehen viele Menschen also davon aus, dass Pilze Pflanzen sind, auch wenn es in weiterführenden Schulen korrekt gelehrt wird.

Mehr wissen

Verweise

Verweise
1https://www.spiegel.de/geschichte/moderne-mythen-zu-schoen-um-falsch-zu-sein-a-948288.html
2https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/09/fake-news-in-der-antike-schon-die-alten-griechen-nutzten-falschinformationen
3https://www.presseportal.de/pm/133833/4460364
4https://www.faktencheck-gesundheitswerbung.de/corona/falschinformationen-ueber-covid19-54475
5https://www.tagesschau.de/faktenfinder/faktenchecks-corona-101.html
6https://kurier.at/buzz/15-untruegliche-zeichen-fuer-die-macht-der-illuminati/106.692.378
7https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/holocaust-leugnung-und-verzerrung-bekaempfen
8https://www.sueddeutsche.de/leben/identitaet-gruppen-diskriminierung-vorurteile-1.5291348
9https://www.uzh.ch/cmsssl/de/researchinnovation/excellence/nobelprize/einstein.html
10https://utopia.de/ratgeber/taurin-wirkung-mythen-und-nebenwirkungen-der-aminosaeure/
11https://www.sueddeutsche.de/wissen/forschungspolitik-wir-brauchen-ein-guetesiegel-fuer-wissenschaftsjournale-1.4061246
12https://www.higgs.ch/der-fluch-und-segen-von-wissenschaftlichen-zeitschriften/25617/
13https://www.elsevier.com/de-de/solutions/scopus/content-curation/unseriose-vs-seriose-fachzeitschriften
14https://www.academics.de/ratgeber/forschungsfoerderung
15https://www.spektrum.de/news/mancher-leidet-am-gehirn-uebertreibungssyndrom/1146202